Wenn wir Comics konsumieren, dann LESEN wir Comics. Aufwändig gestaltete Panels führen natürlich dazu, dass man den LESER einfängt, aber die wenigsten werden sich lediglich die Bilder ansehen. Auf eine gute Story kommt es an. Eine fesselnde Geschichte kann sogar einen simpleren Zeichenstil wettmachen. Aber kein farbenfroher Marvel-Comic macht Spaß, wenn die Geschichte lahm ist.
Eine Tatsache, die du dir als Comic-Schaffender bewusst werden musst, ist: Wenn du einen eigenen Comic zeichnen willst, solltest du zuerst überlegen, was du erzählen möchtest. Das bedeutet, bevor du den ersten Strich auf Papier oder Tablet ziehst, solltest du eine Geschichte haben, die erzählt werden möchte. Die Wenigsten (eine Ausnahme ist der deutsche Comiczeichner Ralf König) schaffen es, einfach loszuzeichnen und zu schauen, wohin die Reise hingeht. Meine allerersten Comics sind leider so entstanden und waren auch der Grund, warum sie unvollendet blieben. Mir ging es oft so, dass ich eine Idee für ein „spannendes“ Comic hatte und mir schon die ersten Seiten im Kopf ausmalte. Jedoch bei der Umsetzung stieß ich plötzlich auf eine Sackgasse.
Schick deinen Helden auf eine Reise
Wie ich bereits hier (https://markanddraw.substack.com/p/ein-cartoon-in-3-akten) verdeutlicht habe, hat selbst ein einfacher Cartoon eine kleine, kurze Geschichte.
Aber was macht eine gute Geschichte aus? Diese Frage stellen sich alle Autoren, die Romane, Drehbücher oder eben Comics zeichnen. Glücklicherweise leben wir in einer medialen Gesellschaft und können auf eine lange Kulturgeschichte zurückblicken. Von den griechischen Sagen über Shakespeare bis hin zum Kino-Blockbuster haben wir viele Vorlagen zur Verfügung. Was genau ist das Erfolgsrezept von Odysseus, Romeo & Julia oder "Zurück in die Zukunft" (meiner Meinung nach das beste Drehbuch, das je geschrieben wurde)?
Star Wars, Harry Potter, Matrix und Herr der Ringe haben ein gemeinsames Rezept: die klassische Heldenreise. Hollywood bedient sich, sehr erfolgreich, immer wieder dieser eingängigen Erzählstruktur. Disney hat sogar sein ganzes Firmenimperium darauf aufgebaut. Es geht immer um eine Heldenfigur, die freiwillig oder nicht ins Abenteuer gerufen wird. Dabei muss die Figur Schwellen und Hindernisse überschreiten und sich den (inneren) Feinden stellen, um verändert mit der Belohnung zurückzukehren. Luke Skywalker wird zum Jedi-Ritter und rettet die Galaxis. Total simpel, nicht?
Ich finde diese Formel aber zunehmend langweilig. Es wird auch immer schwieriger, die dafür notwendigen Charaktere und Gegebenheiten neu zu entwickeln. Selbst die bekannten Blockbuster haben sehr auffällige Gemeinsamkeiten. Hier ein Beispiel: Luke/Frodo/Neo muss seinen Wüstenplaneten/Auenland/Matrix verlassen und trifft dabei auf den Mentor Obi-Wan/Gandalf/Morpheus, um die Galaxis/Mittelerde/die Welt außerhalb der Matrix zu retten. Dabei muss er sich seinem Feind Darth Vader/Sauron/Agent Smith stellen. Gähn!
Dieses Schema funktioniert grundsätzlich und bringt die Menschen immer noch dazu, Kinos zu besuchen, Bücher oder Comics zu kaufen. Glücklicherweise gibt es aber noch Autoren, die das Talent haben, solche Rezepte zu verfeinern.
Die 8 Schritte im Dan Harmon Story-Circle
Dan Harmon (geb. 1973) ist ein amerikanischer Autor, der seit 2013 mit seiner Animationsserie Rick & Morty große Erfolge feiert. Seine im Vergleich eher kurzen Episoden verfolgen einem nach ihm benannten Story-Circle:
Du — der Charakter befindet sich in seiner Komfortzone,
Bedarf — aber er/sie benötigt etwas.
Los! — der Charakter tritt in eine unbekannte Situation ein,
Suche — er/sie passt sich daran an,
Finden — bekommt, was er/sie will,
Nehmen — der Charakter zahlt einen hohen Preis dafür,
Rückkehr — er/sie kehrt zur vertrauten Situation zurück,
Veränderung — nachdem er/sie sich verändert hat.
Dieses Rezept ist zwar stark auf den Protagonisten ausgerichtet, lässt im Gegensatz zur klassischen Heldenreise aber mehr Freiheiten zu. Man kann die Reihenfolge der 8 Punkte leicht verändern oder einzelne Schritte bei Bedarf sogar weglassen. Christopher Nolan ließ bereits 2008 seinen Batman nach dem Dan Harmon Prinzip gegen den Joker antreten. Der Preis dafür waren 8 Oscar-Nominierungen, davon zwei mit Auszeichnung. Auch das Drehbuch von Shaun of the Dead (2004) folgt diesem System.
Die 6 Fragen von Glenn Gers
Eine Art Erweiterung zu Harmons Kreis sind die 6-Story-Points vom amerikanischen Drehbuchautor Glenn Gers. Als Autor von vielen Episoden diverser TV-Serien ist er hier eher noch als Drehbuchschreiber zum Film "Das Perfekte Verbrechen" (2007) mit Anthony Hopkins bekannt. Glenn stellt sich beim Schreiben seiner Geschichten immer 6 essenzielle Fragen:
Worüber handelt sie Geschichte?
Was will die Figur?
Warum bekommt er es nicht?
Was tut sie dagegen?
Warum funktioniert es nicht?
Wie endet es?
Im Gegensatz zu Dan Harmon sind Glenns Punkte weniger variabel, können jedoch auf jeden einzelnen Charakter in der Geschichte angewendet und miteinander verknüpft werden. Dies führt wiederum zu einer komplexeren und anspruchsvolleren Geschichte.
Retter in der Not
Ich finde beide Rezepte sehr hilfreich und sie können sogar kombiniert werden. Beide Formeln können etwaige Lücken oder offene Enden in einer Geschichte leichter schließen. Ich hoffe, dass dieser Tipp auch euch beim Finden und Entwickeln eurer eigenen Geschichten hilft. Dabei ist es egal, ob ihr ein Comic, einen Roman oder ein Drehbuch schreiben möchtet. Wann immer ihr feststeckt und nicht weiter wisst, können euch dieser Story-Circle oder die 6 Fragen weiterhelfen.
Eine tiefere Erläuterung des Dan Harmon Circles kann man in englischer Sprache noch hier nachlesen: https://www.studiobinder.com/blog/dan-harmon-story-circle/
Viel Erfolg beim Schreiben!
Danke, dass Du bis hierher gelesen hast. Hat Dir der Beitrag gefallen? Wenn ja, lade ich Dich herzlich ein, Dich in meine Mailingliste einzutragen.